Samstag, 8. Januar 2005

Anmerkungen zu Borchert "Kegelbahn"

Borchert: Kegelbahn
Kegelbahn. Zwei Männer sprachen miteinander.
Nanu, Studienrat, dunklen Anzug an. Trauerfall?
Keineswegs, keineswegs. Feier gehabt. Jungens gehen an die Front. Kleine Rede gehalten. Sparta erinnert. Clausewitz zitiert. Paar Begriffe mitgegeben: Ehre, Vaterland, Hölderlin lesen lassen. Langemarck gedacht. Ergreifende Feder. Ganz ergreifend. Jungens haben gesungen: Gott, der Eisen wachsen ließ. Augen leuchten. Ergreifend. Ganz ergreifend.
Mein Gott, Studienrat, hören Sie auf. Das ist ja grässlich.
Der Studienrat starrte die anderen entsetzt an. Er hatte beim Erzählen lauter kleine Kreuze auf das Papier gemacht. Lauter kleine Kreuze. Er stand auf und lachte. Nahm eine neue Kugel und ließ sie über die Bahn rollen. Es donnerte leise. Dann stürzten hinten die Kegel. Sie sahen aus wie kleine Männer.

[Wolfgang Borchert: Das Gesamtwerk, Hamburg 1949, S. 315f]


Anmerkungen dazu:
Die Kegelbahn ist ein typisch deutscher Ort. Nirgendwo auf der Welt findet man solche Örtlichkeiten, aber in Deutschland fast überall, vorzugsweise auf dem Dorf. Schon in Goethes „Faust“ wird das Kegelschieben als rohes Vergnügen des einfachen Volkes dargestellt. So sagt Wagner: „Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben ist mir ein gar verhasster Klang; Sie toben wie vom bösen Geist getrieben und nennen’s Freude, nennen´s Gesang“.
Und der Studienrat ist die Verkörperung des deutschen Gymnasiums – der Bildungsinstitution für höhere Stände und die Mittelklasse. Hier waren schon immer die konservativ-nationalen Bildungsgüter besonders gut aufgehoben. Das hat in dem Land, in dem das Gymnasium erfunden wurde, in Preußen, gut funktioniert und funktionierte in der Folgezeit ebenso prächtig.
Erst die 68iger-Revolte und die Bildungsreform der 70iger Jahre machten dem herkömmlichen Gymnasium den Garaus – zwar nicht immer, aber oft. Leider wurden die humanistischen Ideale, wie Humboldt sie im Sinn hatte, nicht besonders gepflegt und machten bald den staatstreuen nationalen Interessen Platz. Während des Dritten Reiches war die deutsche Schule eine der Instanzen, die die Gleichschaltung der Jugend und deren Vorbereitung auf den Krieg betrieben. „Im Krieg sind alle Väter Soldat“.
Und wenn ein deutscher Studienrat auf einer deutschen Kegelbahn mit jemandem redet, dann militärisch knapp und unter Verzicht auf unwichtige Satzteile. Da fühlt sich der Studienrat schon sprachlich als General, der er eigentlich immer werden wollte, aber niemals geschafft hat. Als guter Patriot kann er die Jungs an die Front schicken, was er als Humanist, der er sein sollte, eigentlich verhindern müsste.
Und dann folgen Elemente seiner Rede, bei denen es sich denken lässt: Sparta, Clausewitz, Langemarck.
Eisenhart erzogen die Spartiaten ihre Söhne zu Berufskriegern, die auch ab und zu die umwohnenden Heloten tyrannisieren (ermorden) durften. Für den nationalen Bildungsbürger waren die Kriegerkaste Spartas und deren Erziehungsmethoden das Ideal schlechthin. Ich erinnere mich noch an unseren Lateinlehrer, der uns Jungens von Sparta erzählte, statt uns Latein zu lehren. Und geredet haben sie wohl auch nicht viel (lakonischer Stil). Das Geheimnis, das Sparta die Macht sicherte, war der einzigartige Staatsaufbau, der auf Krieg zugeschnitten war und das Wohl jeden Bürgers dem Staat unterordnete.
Und Clausewitz? Das war jener preußische General, der zu einem der ersten Militärtheoretiker der Neuzeit wurde. Sein dreibändiges Hauptwerk „Vom Kriege“ ließ ihn zum Begründer der modernen Kriegslehre werden. Der berühmte Satz, „der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, sieht im Krieg an sich nichts Verwerfliches. Er ist ein Mittel der Politik, mit dem man legitime Interessen erreichen kann. Nach Recht fragt dann niemand mehr. So einer ist natürlich leicht für Lebensraum und Blut und Boden – legitime Interessen des deutschen Volkes angeblich – in Dienst zu nehmen.
Und dann sind da auch noch die jungen deutschen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg ihren „Opfergang“ für Deutschland bei Langemarck angetreten haben. Wie Schlachtvieh sind sie singend in den Tod gezogen – arme Kreaturen, die man im Dritten Reich zu Helden hochstilisierte. Aber man muss schon ganz schön fanatisch sein, um in diesem sinnlosen Gemetzel Heldentum zu entdecken.

Trackback URL:
https://arnox.twoday.net/stories/464312/modTrackback

ArnoX

... alles, was man so in Politik, Literatur und Medien interessant finden könnte.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Archiv

Januar 2005
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
20
21
22
23
24
25
26
27
28
30
31
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

NaPolA - Elite für den...
Ein Arbeiterjunge aus dem Berliner Wedding träumt von...
arnox - 29. Jan, 21:35
das ist Ironie
Es käme mir nie in den Sinn, Bush als großen Politiker...
arnox - 20. Jan, 15:19
von einem "großen" Bush...
Scheint mir arg übertrieben. Wobei, wenn man Bush homoerotische...
albannikolaiherbst - 20. Jan, 07:52
Alexander
Reflexionen zu Oliver Stones Film Oliver Stones monumentales...
arnox - 19. Jan, 00:50
Über die Urform des Bloggens
oder das kleinste Notebook der Welt Liniert oder plain,...
arnox - 8. Jan, 18:37

Status

Online seit 7407 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:03

... derzeit in Arbeit

Henning Boetius
Die blaue Galeere


Bruce Chatwin
Traumpfade

Profil
Abmelden
Weblog abonnieren